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Steinbeck und Meilsen – Geschichtsträchtig
von Götz von RohrDas Dorf Steinbeck und die Bundesstraße 75 sind in ihrer Geschichte untrennbar miteinander verwoben. Zwar gab es 1105, als Steinbeck vermutlich das erste Mal in einer Urkunde auftauchte, auch nicht im Ansatz einen Vorläufer der späteren napoleonischen „Route Impériale Nr. 3“, die 1811 fertiggestellt wurde, im Übrigen mit kräfte- und materialzehrenden Hand- und Spanndiensten auch der Steinbecker Bauern. „Die Chaussee Hamburg-Wesel“, schrieb Napoleon seinem Finanzminister Gaudin am 17. August 1811, „rückt Hamburg um vier Tagesreisen näher an Paris heran; das sichert und befestigt die Vereinigung dieser Länder mit dem Kaiserreich.“
Die neue Chaussee hatte im Bereich von Steinbeck schon einen Vorläufer, der allerdings bei weitem nicht so komfortabel ausgebaut war. Die Chaussee führte schon damals durch den Ortskern von Steinbeck hindurch, wenn auch nicht genau in der Mitte. Aus der „Napoleonstraße“, die sich immer wieder durch viele Kilometer lange schnurgerade Abschnitte auszeichnete, wurde später die Reichsstraße 3 und dann die Bundesstraße 75. Die Königreiche Hannover und dann Preußen erhoben übrigens das sogenannte „Chausseegeld“, eine Art Maut, von jedem, der unterhaltene Chausseen benutzte. Das Haus des Chaussee-Geldeintreibers auf Steinbecker Gebiet lag an der Einmündung der Bremer Straße in die B 75, von Buchholz aus gesehen stadtauswärts rechts. Das dort jetzt noch stehende renovierte und weiß verputzte Haus geht darauf zurück. 1874 wurden in Preußen die staatlichen Chausseegebühren abgeschafft.
Die B 75 musste man in den 1950er Jahren von zwei Seiten sehen. Einerseits schuf sie Umsatz und Arbeitsplätze. Lkws, die von Hamburg Richtung Hannover oder Bremen fuhren, nutzten überwiegend die A 1 (damals „BAB Hamburg-Bremen“) bis Dibbersen, um dann auf die B 75 und gegebenenfalls am Trelder Berg auf die B 3 abzubiegen. An der B 75 und der B 3 gab es zahlreiche Gasthöfe mit großen Parkplätzen, teilweise mit Werkstatt, Tankstelle und Übernachtungsmöglichkeiten, die vollständig auf den Lkw-Verkehr ausgerichtet waren. Auf dem heutigen Buchholzer Stadtgebiet waren es allein vier. Der größte war „Meyer‘s Gasthof Hoheluft“, der schon in den 1930er Jahren in diese Marktlücke hineingewachsen war. Hier wurde im 24-Stunden-Betrieb gearbeitet. Der zweite Gasthof in der Gemeinde Steinbeck war das Gasthaus „Zur grünen Tanne“ nahe der Brücke über den Steinbach (heute Bosna).
Andererseits war es an der B 75 extrem gefährlich. Obwohl der Dorfkern von Steinbeck zu beiden Seiten der Bundesstraße lag, standen die gelben Ortseingangsschilder, wie heute noch, erst an den einmündenden Nebenstraßen, die von der B 75 abgingen. Auf der B 75 gab es keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung und das auf einer Straße mit vielen querenden Wagen, haltenden Bussen, Radfahrern und Fußgängern sowie mit immer wieder zerfahrenem Asphalt. Tempo-70-Schilder wurden erst in den 1960er Jahren aufgestellt. Tempo 100 auf Landstraßen wurde erst 1972 eingeführt! Entsprechend häufig waren schwere Unfälle. Von einem wird im Kapitel über Vaensen berichtet.
Dies alles änderte sich schlagartig im Herbst 1958. Am 23. September wurde die A 7 eröffnet. Es wurde auf der B 75 „unheimlich still“, wie Ilse Meyer, spätere Erbin des Gasthofes „Hoheluft“, in ihrer Mittelschulabschlussarbeit schrieb. Der Gasthof stellte sich jedoch schnell auf die verbliebene Kundschaft auf lokaler und regionaler Ebene um, die bald sogar wuchs. Der 24-Stunden-Betrieb wurde allerdings nach wenigen Tagen eingestellt.
Steinbeck und Meilsen sind zwei Ortschaften, die bei der Bildung von Gemeinden in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch getrennt gegründet wurden, sich jedoch 1865 zusammenschlossen. Der Gasthof „Hoheluft“ liegt auf der Meilser Gemarkung. Da es von Meilsen aus auch der nächstgelegene Gasthof ist, trafen sich hier die Meilser auf ein Bier oder bei Familienfesten. Im Dorf Meilsen gab es weder eine Gaststätte noch einen Kolonialwarenladen. Hier befanden sich in den 1950er Jahren sechs Höfe unterschiedlicher Größe, von denen heute nur noch zwei bewirtschaftet werden. Die Ortschaft liegt abseits jeglichen Durchgangsverkehrs, zumal der Weg von Hoheluft hinunter zum Dorf kopfsteingepflastert und einer der wenigen auf Buchholzer Gebiet ist, der noch über einen ungepflasterten Sommerweg verfügt, auch wenn er nicht „klassisch“ aus tiefgründigem Sand besteht, sondern geschottert ist. Deshalb wissen nur wenige, wie malerisch Meilsen ist. Mehrere Gebäude stehen unter Denkmalschutz.
August Beck war Bauer auf dem Beckschen Hof und zugleich von 1954 bis 1971 Bürgermeister von „Steinbeck mit Meilsen“. Im großen Haupthaus lag auch das Gemeindebüro. Hier befand sich zudem die „Tiefkühleinrichtung“. Denn bevor alle einen Kühlschrank mit Tiefkühlfach oder einen Tiefkühlschrank hatten, stand hier für jeden Meilser Haushalt noch bis in die 1960er Jahre ein Fach zur Verfügung. Zudem gab es hier das erste Telefon der Ortschaft. Es war zwar privat, durfte aber als „Öffentlicher Fernsprecher“ von allen genutzt werden. Das entsprechende Schild hängt heute noch am Gebäude.
Im heutigen Dorf Steinbeck gab es 1958 acht Höfe, „Kauers“, „Stövers“, „Reeps“, „Tittens“, „Minkens“, „Sneers“, „Bargers“ und „Schloss“, von denen mittlerweile nur noch zwei Höfe bewirtschaftet werden. Bei allen anderen sind die landwirtschaftlichen Flächen verpachtet und die Wohn- und Wirtschaftsgebäude als Wohnungen oder für gewerbliche Zwecke genutzt. Im Dorf liegt bis heute zudem der dritte und älteste Steinbecker Gasthof, das heutige Hotel „Zur Eiche“. Da es abseits der B 75 lag, nahm es am zuvor beschriebenen „Lkw-Geschäft“ kaum teil. Im Übrigen gab es noch den Kolonialwarenladen von „Tante Lotte“, wo man das eine oder andere kaufen und vor allem über dies und jenes klönen konnte. Im Oktober 1972 wurde der Laden aufgegeben.
1958 war für Steinbeck auch sonst ein wichtiges Jahr. Schon im Januar, noch während des laufenden Schuljahres, wurde die Grundschule am Kattenberge eingeweiht. Die bisherigen Schulgebäude, das eine neben dem Gasthaus „Zur grünen Tanne“ und das andere am Wilfried-Wroost-Weg, waren bei weitem zu eng geworden. Denn Steinbeck wuchs. Zuerst mussten Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht werden. Und auch danach rissen die Zuzüge nicht ab. Vor allem die Heimgartensiedlung trug dazu bei. 1947 wurde die „Heimgarten-Selbsthilfe-Siedlungsgenossenschaft“ gegründet, die die erforderlichen Flächen Henry Stöver abkaufte, Eigner des Stöverhofes und Wirt des Gasthauses „Zur Eiche“. Eine Straße am Rande der Heimgartensiedlung ist nach ihm benannt. Von 1950 bis 1955 zogen die Familien ein, keine mit weniger als zwei Kindern, die dann bald schulpflichtig wurden.
Außerdem gab es die Meilsener Heide, an die der Name einer kleinen Nebenstraße erinnert. Dies war ein großflächiges Heidegebiet im Süden der Gemarkung Meilsen. Es lag zwischen dem Hoheluftweg und der Bahn nach Bremen, erschlossen durch den Weg „Am Kattenberge“ und die obere Bremer Straße, die in den 1950er Jahren noch eine Sandpiste war. Auch in dieses Gebiet zogen immer mehr Familien.
Die Baugenehmigung war kein Problem. Bürgermeister August Beck war schnell bei der Sache, denn die Flächen gehörten ihm ja. Sein Vater hatte erste Parzellen in den 1930er Jahren noch für zehn Reichspfennig je Quadratmeter verkauft. Damals wurde ins Grundbuch eingetragen, dass die Erschließungswege „wund zu halten“, also von jeglicher Vegetation frei zu halten wären. Es handelte sich nämlich gar nicht um Wege, sondern um Brandschneisen durch die Heide.
Der erste Siedler an der Heidkoppel konnte von seinem Grundstück noch nach Westen bis zum Stuvenwald und nach Osten bis zur St. Paulus-Kirche blicken. An der Bremer Straße waren gegenüber der heutigen Siedlung „Am Steinbecker Feld“ vor dem Zweiten Weltkrieg „allein auf weiter Heide“ drei baugleiche Häuser mit spitzem Giebel gebaut worden, für die sich der Name „Dreihausen“ einbürgerte.
Immer wieder kam es vor, dass sich auf den Sandwegen der Meilsener Heide Autos festfuhren. Nach Regen konnten die Wege fast unpassierbar werden. Insbesondere die schweren Lkws der Überlandwerke („Überla“) mit ihrem Umspannwerk an der Bremer Straße zerfuhren den Sandweg abgrundtief. Wer sich dort festfuhr konnte nur August Beck in Meilsen anrufen, der dann mit einem Trecker kam und den halb verschwundenen Wagen wieder herauszog. Er war Bürgermeister, Telefonbesitzer, Grundstückseigner und Abschleppdienst in einer Person!